Dienstag, 8. März 2016

WIE GEFÄHRLICH IST DER RUSSE?







GEDANKEN NACH MEINER RUSSLAND-REISE


Die politischen Ereignisse der letzten Jahre und festgefahrene Vorurteile machen es heute schwierig sich einer solchen Frage zu stellen. Viele Missverständnisse und einseitige, distanzierte Betrachtung führen zu einem verzerrten Bild dieser Nation bei den Europäern. Wobei ich mich schon am Anfang korrigieren muss. Denn Russland ist, wie viele außer Acht lassen, ein Vielvölkerstaat, der vielen slawischen, orientalischen, kaukasischen Ethnien, sowie indigenen Völkern Sibiriens und vielen anderen als Heimat dient. Natürlich bilden die ethnischen Russen den größten Anteil der Bevölkerung, doch die Erwähnung der anderen Russländer, wie die Menschen in Russland ungeachtet ihrer Ethnie genannt werden, ist sehr wichtig. Auf Grund der Größe des Landes und seiner turbulenten Geschichte musste man lernen miteinander zu leben, unterschiedliche Kulturen zu respektieren und so kam es natürlich zu vielen Vermischungen innerhalb der bunten Bevölkerung. Heute zählt man mehr als 30 Amtssprachen in der russischen Föderation, was das Ergebnis der Sprach- und Kulturpolitik, die unter Lenin eingeführt wurde, um kleineren Volksgruppen ihre nationale Identität selbstvestimmt durch den Staat zu sichern. Der Einfachheit halber werde ich im Folgenden trotzdem von „den Russen“ sprechen.
Ich selbst wurde lange von den unterschiedlichsten Vorurteilen zu diesem Land und seiner Bevölkerung geplagt. Man hört, dass Russen sich im Urlaub schlecht benehmen. Sie wirken aggressiv auf manche von uns. Es wird häufig behauptet, dass in Russland Menschenrechte missachtet werden und sie keine Toleranz kennen. Zuletzt war die Rede von imperialen Ambitionen, die einigen unter uns Angst machen. Und natürlich assoziieren die meisten eines mit dem Land, Wodka. Nicht zuletzt sagen aber auch viele, dass die Russen gastfreundlich, großherzig und gutmütig sind.
Um den Versuch zu unternehmen zumindest einige Vorurteile auszuräumen, habe ich beschlossen eigene Erfahrungen zu sammeln und drei Städte dieses geheimnisvollen Landes zu besuchen, um ein von regionalen Eigenheiten möglichst wenig verzehrtes Bild zu bekommen. Dabei habe ich mit Menschen gesprochen und habe meine Beobachtungen in einen sozialen, politischen und historischen Kontext gebracht.
Was mich zuerst absolut überrascht hat und den ersten Stereotyp zerstört, ist, dass die Menschen im öffentlichen Leben untereinander unheimlich freundlich und hilfsbereit sind. Ich sage damit nicht, dass beispielsweise Deutsche unfreundlich sind, aber so einen Umgang fremder Menschen untereinander habe ich nach all den Russengeschichten und dem Alltag in Deutschland einfach nicht erwartet.
Ich hörte vor meiner Reise viel davon, dass ich besonders aufpassen muss, denn dieses Land ist oft unberechenbar und man könne schnell in Schwierigkeiten geraten. Mit besonderer Vorsicht bewegte ich mich durch die Straßen und war stets aufmerksam, was ja grundsätzlich nicht verkehrt ist, aber ein mulmiges Gefühl in etwas Unbekanntes geraten zu sein und nicht genau zu wissen, was einen erwarten kann, war zunächst unangenehm.
Glücklicherweise hatte ich eine bezaubernde ortskundige Begleitung. Ihr ist mein anfängliches Unbehagen auch aufgefallen. Doch es löste sich ziemlich schnell, während ich auf meiner Reise gewissermaßen mit der russischen Bevölkerung verschmolz. Wobei eines muss ich bestätigen. Der Verkehr in russischen Großstädten ist, wenn auch nicht chaotisch, aber wesentlich dynamischer und turbulenter, als ich es gewohnt bin. Man schaut lieber zweimal hin, besonders gefährlich ist es dennoch nicht.
Meine Begleiterin war für meine Untersuchung insofern ein wahrer Glücksfall, da es eine gebildete junge Frau war mit einem ebenso akademischen Freundeskreis, den ich auch teilweise kennenlernen durfte. Zudem ist sie sehr traditionsbewusst, wie viele Russen, gemäßigt gläubig. Was Sie aber noch besonders interessant macht, ist, dass sie Halb-Georgierin ist. Wegen der schwierigen politischen Situation zwischen Russland und Georgien war ich sehr auf ihre Argumentation im Bezug auf ihre Beziehung zu Russland gespannt.
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Um ein gewisses Verständnis für das Handeln der russischen Regierung zu entwickeln und Dinge, die wir häufig kritisieren aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, ist es wichtig, sich ein wenig mit der Kultur und Mentalität vertraut zu machen.
Das russische Traditionsbewusstsein ist ein zentraler Punkt in der Charakteristik der Nation. Dieses ruht auf christlich-orthodoxen Werten. Dabei geht es nicht darum, streng religiös die Bräuche zu befolgen, sondern eher um den Umgang miteinander und den Respekt gegenüber seinen Mitmenschen, wie es die Bibel vornehmlich im neuen Testament mit den Lehren Christi vorgibt. Andere Religionen werden dort aber auch gleichwertig ausgelebt.
Durch die sowjetische Vergangenheit erhielt die Religiosität eine mebensächliche Rolle, doch sie lebte hinter verschlossenen Türen in der Bevölkerung weiter. Nach dem Ende der Sowjetära erlebte aber der russisch-orthodoxe Glaube eine Renaissance. Durch den Verlust der bisherigen Ideologie und prikäre Verhältnisse der 90er Jahre versuchte man eine ideologische Alternative zu finden.
Werte wie eine traditionelle Familie sind den Russen besonders wichtig, nicht zuletzt wegen der schwierigen demografischen Lage. Insbesondere die russischen Frauen legen Wert auf eine intakte Familie. Leider sieht es in der Praxis oft wesentlich schlechter aus. Die Zahl der alleinerziehenden Frauen ist in Russland sehr hoch.
Es wird viel mehr ein Unterschied zwischen Mann und Frau gemacht, was ein zentraler Punkt der Anschauung ist. Frauen sind selbstverständlich vor dem Recht genauso gleichgestellt, wie Männer und haben die gleichen Möglichkeiten in Bildung und Beruf. Doch dieses Unterscheiden geschieht auf zwischenmenschlicher Ebene, was in Europa immer mehr zurückgeht. Eine russische Frau ist sehr erfreut über banale Hilfen im Alltag, wie das Tragen einer Tasche oder das abendliche Begleiten bis vor die Haustür und erwartet dies auch häufig. Während in Deutschland manch eine Frau das als Aberkennung ihrer Selbstständigkeit bewerten würde, ist das in Russland selbstverständlich. Es wird einfach kein Versuch unternommen gleich zu sein. Männer und Frauen haben gewisse geschlechtsspezifische Domänen und diese werden gelebt und geschätzt. Sich der Weiblichkeit bewusst zu sein, ist für eine Russin kein Zeichen von Schwäche, sondern ihre Natur, die sie anerkennt und gewisse, daraus entstehenden Vorzüge genießt. Während die Männer in gewissen Situationen das Gefühl genießen können gebraucht und geschätzt zu werden, auf diese traditionelle Art.
Von den Männern wird allgemein erwartet wehrfähig zu sein. Dazu zählt es die Dame, die er begleitet beschützen zu können, sowie seine Familie und Heimat. Das folgt unter anderem aus der schwierigen Geschichte des Landes, das häufig massiven Angriffen von außerhalb ausgesetzt worden ist. Das erklärt den Drang Russlands eine funktionierende Verteidigung seiner Grenzen zu gewährleisten. Was uns manchmal als Militarismus erscheint, ist nur die Lehre aus der eigenen Geschichte und gilt nicht als Bedrohung für irgendwen, denn Russland führte so gut wie nie Eroberungskriege, im Gegensatz zu vielen westlichen Staaten.
Der russische Patriotismus spielt eine wichtige Rolle für das Verständnis des Volkes und ist keineswegs mit irgendeiner Form von Nationalismus zu verwechseln. Es geht nicht darum sich als ausschließliche oder beste Nation auszuzeichnen und auf andere herabzublicken. Vielmehr ist der Russe stolz auf die Errungenschaften seiner Landsleute und zollt ihnen Respekt. Es gilt, „kenne die Geschichte deines Landes, um es zu lieben“. Daher wird sehr viel Mühe darauf verwendet Andenken zu bewahren und Traditionen zu pflegen. In dem Land gibt es so viele Denkmäler zu Ehren von Wissenschaftlern, Schriftstellern, Dichtern oder Politikern, wie ich sonst nirgendwo gesehen habe.
Ich erinnere mich sehr gut daran, dass viele in diesem Jahr kein Verständnis dafür aufbringen konnten, dass in Moskau eine große Siegesparade zu Ehren des Sieges gegen Nazideutschland stattfand. Viele brachten das fälschlicherweise mit der politischen Situation bezüglich Krim und Ukraine in Zusammenhang. Dabei ist es eine jährliche Tradition und in diesem Jahr war es das 70. Jubiläum. Die Sowjetunion trug die Hauptlast des Krieges mit erschütternden Verlusten von etwa 27 Mio. Menschen. Man sagt auch, „jede Familie hat ihren Helden“, denn tatsächlich hat fast jede russische Familie jemanden in diesem schrecklichen Krieg verloren. Der Heldentaten, dieser Menschen nicht zu gedenken und nicht zu mahnen, so etwas nicht nochmal geschehen zu lassen, wäre schlichtweg eine Beleidigung.
Es ist aber auch einfach die Liebe zum Land, unabhängig von Staat und Regierung. Nicht umsonst sagt man „Mütterchen Russland“. Es ist die Erde, der Boden mit all seinen Schätzen und Schönheiten, der alle ernährt und dafür geschätzt wird.
Zuletzt möchte ich auf das Verhältnis der Russen zu ihrem Präsidenten eingehen. Egal, was man von Putin halten mag, die überwältigende Mehrheit des Volkes unterstützt ihren Regierungschef. Angesichts der katastrophalen Phase der neunziger Jahre muss man einfach anerkennen, dass seit Putins erster Amtszeit Russland sich gewaltig entwickelt hat. Auch die Ambitionen nach geopolitischen Einfluss will sich das flächenmäßig größte Land der Erde nicht mehr nehmen lassen, nachdem es lange Zeit nicht ernst genommen wurde. Wobei ich hier betonen möchte, dass Putin sich regelmäßig für eine Multipolare Welt ausspricht. Es soll kein geopolitisches Zentrum, wie zuletzt die USA mehr geben, sondern eine Welt mit mehreren gleichwertigen Einflussnehmern.
Doch zurück zum Verhältnis des Volkes zum Präsidenten. Oft wird er ja als der Zar bezeichnet. Gewissermaßen ist es auch so. Eine autoritäre, volksnahe Person, der man sein Vertrauen schenkt und an die man sich bei Missständen wendet ist auch in der russischen Geschichte verankert. Dieses Verhältnis zu Herrschern wird, zumindest in Ansätzen weiter so gelebt. Wobei es bemängelt wird, dass Putin zu wenig für die Innenpolitik tut. Und wenn „Väterchen Zar“ es nicht tut, wer dann?
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Fazit:
Eine traditionelle, man könnte sagen, konservative Einstellung der Russen zur Familie und der Beziehung zwischen Mann und Frau ist eine auf christlichen Werten basierende Symbiose der Geschlechter, die nicht das Ziel haben eigenständig zu sein, sondern am besten gemeinsam funktionieren.
Der russische Patriotismus und der Wunsch nach Sicherheit ist eine Folge der Historie des Landes. Um das Land und Volk besser zu verstehen, sollte man sich mit seiner Geschichte befassen.
Während wir ständig von Toleranz sprechen und andere, die unserer Meinung nach nicht tolerant genug sind ermahnen, vergessen wir es offenbar, dass man es tolerieren sollte, dass die Russen eine Kultur haben, die sich etwas von unserer unterscheidet. Wobei mehr als nur Toleranz wünschenswert wäre.
Es liegt nicht in unserem Ermessen einem ganzen Volk vorzuschreiben, wie es sich zu verhalten hat, um glücklich zu sein.
Mit etwas mehr gegenseitigem Verständnis und Bereitschaft zum Dialog, finde ich wäre es einfacher miteinander Probleme zu lösen und die Welt zu gestalten. Immer mit dem nötigen Respekt vor der Kultur des Partners.

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